„Prüfet alles, das Gute behaltet!“ (1Thess 5,21)
„Prüfet alles!“ Das geht ja gut los. Da habe ich gar keine Lust auf das Neue Jahr. Ich habe genug Prüfungen gehabt in meinem Leben. Probiert alles! Das würde mir besser gefallen. Andererseits, sagt mein Vernunft-Ich: Prüfungen sind wichtig, auch außerhalb von Schule und Ausbildung. Prüfen ist das halbe Leben. Nach dem schweren Flugzeugunglück in Südkorea Ende Dezember soll das gesamte Luftfahrtkonzept des Landes überprüft werden. Richtig so! Nach dem schrecklichen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg soll das Sicherheitskonzept der Landeshauptstadt überprüft werden. Man hat zu Recht auch gefragt, warum der Attentäter vorher nicht gründlicher geprüft worden ist. „Prüfet alles, das Gute behaltet.“
Prüfen ist wichtig, vor allem vorher. Wer studieren will, muss sich einer schriftlichen und mündlichen Abi-Prüfung unterziehen. Wer einen Führerschein erwerben will, muss eine theoretische und praktische Fahrschulprüfung ablegen. Wer Arzt oder Ärztin werden will, muss das Physikum und Staatsexamen ablegen. Gut so! Prüfen ist wichtig, gerade wenn es um unser Zusammenleben geht und um die Verantwortung, die wir füreinander übernehmen.
„Prüfet alles!“ Das gilt auch für die Politik. Bald heißt es wieder: Sie haben die Wahl! Bei der Bundestagswahl am 23. Februar. Da kann mich als Wähler die Jahreslosung vor Naivität bewahren. Prüfen ist wichtig, vor allem vorher. Deshalb sollte man die Kandidatinnen und Kandidaten und die Parteiprogramme prüfen, bevor man in die Wahlkabine geht und sein Kreuzchen macht. Und was ist mit den Politikern selbst? Die können sich ja nicht selber prüfen. Dafür braucht es eine parlamentarische Opposition und manchmal auch eine außerparlamentarische. Da hatte Lenin recht: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Deshalb: „Prüfet alles!“
Aber unser Satz geht ja noch weiter: „Das Gute behaltet.“ Hier steht im Urtext ein Wort, das man auch mit bewahren übersetzen kann. Das finde ich wichtig. Und mir gefallen die Leute nicht, die mit Weltverbesserer-Attitüde alles geringschätzen, was alt ist. Natürlich gibt es auch die gegenteilige Gefahr, dass man etwas nur beibehält, weil es alt ist. Aber da sich die Dinge sowieso ständig ändern, muss man ja fragen, warum hat sich etwas „Altes“ überhaupt behauptet und ist noch da? Das dürfte in den meisten Fällen an der Qualität liegen. Die Rede ist jetzt nicht von Heizsystemen oder von Antriebsarten für Autos, sondern von geistigen und kulturellen Dingen. Ich komme von der klassischen Musik, da ist der Begründungszusammenhang bzw. die Beweislast genau umgekehrt. Ein Konzertveranstalter oder Dirigent muss eher begründen, warum er ein neues Stück ins Programm nimmt. Ein Oratorium von Bach oder eine Beethoven-Symphonie oder eine Verdi-Oper bedürfen keiner Rechtfertigung. Bei den anderen schönen Künsten, Literatur oder bildende Kunst verhält es sich nicht so extrem, aber auch da käme wohl niemand auf die Idee, ein Theater zu fragen, warum es Shakespeare spielt oder Schiller. Oder ein Museum, warum es einen Dürer aufhängt oder einen Rembrandt oder Picasso. Weil es sich hier um Künstler handelt, die Werke geschaffen haben, die zeitlos aktuell sind. Da kann man von der Kunst lernen: „Prüfet alles, das Gute behaltet!“
Doch nun werden wir hier als Christinnen und Christen angesprochen. Zwar sind wir als Evangelische Kirche die Kirche der Reformation – im Unterschied zur katholischen Kirche als Kirche der Tradition –, aber auch wir gründen auf Traditionen, auf biblischen Traditionen, auf religiösen, auf theologischen. Eine solche theologische Tradition ist z. B. das apostolische Glaubensbekenntnis, das in jedem Gottesdienst gesprochen wird. Es geht auf das Bekenntnis der Apostel zurück (deshalb Apostolikum), wurde aber wohl erst im 5. Jahrhundert nach Christus aufgeschrieben. Wichtig ist die dreiteilige, trinitarische Struktur: Gott der Vater, Gott der Sohn, Gott der Heilige Geist. Diese Trinität oder Dreieinigkeit Gottes (tri = drei, Unitas = Einheit) beruht auf biblischen Grundlagen und wurde auf dem Konzil von Nizäa „festgestellt“; seitdem ist sie theologischer Kernbestand des Christentums, der von fast allen christlichen Kirchen und Konfessionen anerkannt ist und Christinnen und Christen weltweit verbindet. Dieses Konzil von Nizäa fand übrigens vor 1700 Jahren statt, von Mai bis Juli 325 n. Chr., in 2025 wird an dieses Jubiläum erinnert werden. Ganz sicher wird das trinitarische Bekenntnis auch auf den Prüfstand gestellt, nicht nur von nichtchristlichen Theologen, sondern auch in den Feuilletons, sowie von Agnostikern und Atheisten. Und von den Theologen selbst nach dem Motto: „Prüfet alles, das Gute behaltet!“
Gut ist, dass wir ein Glaubensbekenntnis haben, das alle christlichen Kirchen anerkennen, und das alle christlichen Kirchen verbindet, über Raum und Zeit hinweg. Und gut ist, dass Gott hier als dreieiniger Gott gedacht ist, dynamisch als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Gott ist gut. Das bezeugt nicht nur die sprachliche Verwandtschaft der beiden Worte, das entspricht auch der Auskunft Jesu, die er einem Gesprächspartner gab: „Niemand ist gut als Gott allein.“ (Lukas 18,19) So kann uns die Jahreslosung auch zur Entscheidung für unseren Glauben helfen sowie in Umbruchzeiten zur Konzentration auf das Wesentliche. „Prüfet alles, das Gute behaltet!“ könnte in 2025 heißen: Prüfet alles, Gott behaltet, den Glauben an Gott behaltet!
Für die Sylvester-Ausgabe der Märkischen Allgemeinen Zeitung wurden Menschen gefragt, was ihnen für 2025 Hoffnung gibt. Gleich als Erster oben links war ein 48jähriger Bauingenieur aus Königs-Wusterhausen abgebildet, der sagte: „Dass ich den Glauben habe, dass ich in Gottes Hand geborgen bin.“
Pfarrer Bernhard Schmidt