Neues aus der Flüchtlingsarbeit

Bericht von Hendrikje Arzt – Flüchtlingsbeauftragte in Elternzeitvertretung des Kirchenkreises Falkensee

Wie ist die Situation der Geflüchteten ?

Wir haben in den Corona-Restriktionszeiten wenig über die Situation der Geflüchteten gehört.

Wir wissen, wie prekär die Lage an der türkischen Grenze oder in Lesbos geworden ist und wieviel Elend dort durch politisch ungeklärte Verhältnisse auch weiterhin entsteht. Von der Situation im Mittelmeer ganz zu schweigen. Nur diese Verhältnisse sind doch etwas weiter weg, als die Verhältnisse in unserer Umgebung und hier können wir persönlich tatsächlich Einfluss nehmen.

Wenn Geflüchtete die deutschen Grenzen erreicht haben, so könnte man meinen, ist doch schon viel geschafft. Und für Viele ging es auch gut weiter, sie konnten sich schnell integrieren. Andere sind seit Jahren in Flüchtlingsheimen untergebracht, sie haben zu essen, ihr Leben ist scheinbar nicht mehr so unmittelbar in Gefahr, solange um ihren Status gerungen wird, aber das kann Jahre dauern.

Die Hoffnung der Politik und auch vieler Mitbürger war, dass die Heime eine Übergangslösung sind, die bald eine Art “Diffusion” der Geflüchteten in die weiteren Landesteile von Brandenburg, Berlin, Sachsen- Anhalt usw. ermöglicht. Doch so einfach war das nicht für alle.

Manche haben einen Aufenthalt, aber keine Arbeit, manche haben Deutsch gelernt, sogar kleine Jobs oder Arbeit gefunden, aber leben seit 4 und mehr Jahren in Heimen mit Menschen eng zusammen, die sie sich nicht aussuchen konnten. Plötzlich sind die Jobs weg wegen Corona. Es gibt wenig Menschen, die bereit sind, eine gewöhnliche Wohnung für Geflüchtete oder einen geflüchteten Mann, dessen Familie beispielsweise noch im Ursprungsland auf Hilfe hofft, freizugeben. Das bedeutet, das Leben ist nicht selbstständig möglich. Heimregeln gelten für jeden jahrelang usw.

Corona hat die Lage noch verschärft:  selbst wenn man einzeln raus darf, wohin denn ?

Kontakt, der so wichtig ist, um kleine Wurzeln zu bilden in einem neuen Land, er ist jetzt nur mit den Mitbewohnern möglich. Langsam kocht die Trostlosigkeit hoch. Vorher konnte man auch mal zu seiner Arbeit, um etwas anderes als das Flüchtlingsheim zu sehen, mit seinen, oft tief traumatisierten,  Bewohnern, oder auf ein Fest der Willkommensinitiativen, oder helfen bei allem möglichen. Wie lange kann ein Mensch die Hoffnung halten, wenn es nicht weiter geht ?

Zusätzlich muss noch gefürchtet werden, dass irgendjemand Corona einschleppt und dann ? Es gibt im Heim keine Abstands-Einhaltungs-Möglichkeiten, wenn viele eine Küche teilen und zur Fastenzeit auch noch wenig Zeitfenster bleiben, um sich sein Essen zuzubereiten, wie soll das gehen? Was bleibt einem manchmal noch, bis auf den Glauben?

In zwei Heimen ist es zu einer Positivtestung Einzelner gekommen. Was nun mit den Risikogruppen? Viele Geflüchtete haben sich auf der Flucht chronische Erkrankungen zugezogen, haben Federn gelassen und nun? Wie sich schützen, wenn man nicht weg kann.

Kurz vor den Corona-Regelungen kamen 25 Kontingentflüchtlinge in Falkensee an (Familien mit zahlreichen Kindern), sie hatten schon einige unvorstellbar schwierige Jahre in türkischen Grenzlagern hinter sich, und nun noch Corona…

Was bekommen wir Menschen in einer ausweglosen Situation? Symptome ! Chron. Erkrankungen produzieren neue Schübe. Was ist gerade schwer oder nicht ohne Risiko aufzusuchen? Das Gesundheitssystem !

Wenn wir glauben, es habe uns schwer getroffen in der Corona-Zeit, dann dürfen wir gerne an die Menschen denken, die in unserer Nachbarschaft unglaubliche Hoffnung aufbringen müssen, wenn sie schon ohne Corona Schwierigkeiten haben, hier ein normalisiertes Leben zu finden. Es gibt zu wenig Wohnraum schon sowieso. Welche Chance hat ein Geflüchteter, in ein normales Mietshaus zu wechseln, wo nicht nur Geflüchtete wohnen, weil sie dafür reserviert sind?

Das Wunderbare sind die Willkommensinitiativen, die nicht locker lassen, ihr Herz vor diesen Zuständen nicht zu verschliessen. Kirchliche und nicht-kirchliche ungebrochene Tatkraft ist ein großes Geschenk, spürbar für viele Geflüchtete. Helfende die, egal ob Christen oder Nichtchristen, einem im Kirchenasyl lebenden Ehepaar hier um die Ecke helfen, eine Schwangerschaft und Entbindung so zu begleiten, dass alles gut geht, trotz Corona. Ja, ein Kind wurde glücklich geboren und Menschen haben freiwillig beigestanden, aus Mitgefühl. Wenn mich jemand fragt, warum bist denn Du nicht aus der Kirche ausgetreten ? Wie so viele ? Dann ist eine Antwort: Deshalb. Weil sie soviel Hilfe ermöglicht, die es sonst nicht gäbe, und weil sie für Barmherzigkeit einstehen darf, ohne sich z.B. als Gutmensch beschimpfen lassen zu müssen. Weil sie Seelsorge betreibt für die Vertriebenen ohne bürokratische Hürden, weil sie uns allen erlaubt, mit ihr zu helfen, wo Beistand nicht selbstverständlich ist. Unsere Gesellschaft hat gerade einige Lektionen in Beistand erhalten und es gibt fast nichts Berührenderes, als Beistand zu erleben.

Was können wir jetzt tun? Stehen wir den Geflüchteten bei, bedenken wir ihr Schicksal, geben wir ihnen Raum, vielleicht auch in einem Wohnungstrakt, der, seit die Kinder weggezogen sind, etwas Belebung gebrauchen könnte. Oder eine Einliegerwohnung, die man sich lieber noch für Gäste freihält, für jemanden öffnen, der Hoffnung auf eine Wendung braucht. Vielleicht hat er/sie schon einen Job, aber trotzdem geht es nicht vorwärts, weil erst die Familien dran sind und dann die Frauen und dann ….ist nichts mehr frei. Gerade die alleinstehenden Männer mit großen Verlusten in ihren Familien, die immer noch voll Hoffnung sind, das alles noch gut werden kann. Lassen wir sie nicht in den Heimen sitzen. Setzen wir uns in unserer Umgebung für Lösungen ein. Überwinden wir die Vorurteile und Ängste. Es sind Menschen dort, die unseren Kontakt brauchen und zwar gerade jetzt nach Corona. Selbst eine Essenseinladung ist ein Highlight. Endlich gesehen werden, von Mensch zu Mensch.

Werden wir kreativ und lindern wir die Trostlosigkeit, gerade nach Corona. Kleine Ideen können da auch eine willkommene Ablenkung sein. Unsere interkulturelle Andacht z.B. kann bald wieder ein Ort sein, wo wir aufeinander treffen und uns kennenlernen können. Und zu guter Letzt, schließen wir sie in unsere Gebete ein, denn diese kommen nicht nur “oben” an, sondern wie ein liebender Gruß auch bei denen, für die wir beten, das hat der Eine oder Andere vielleicht schon selbst erfahren.

In diesem Sinne  gute Gedanken und herzliche Grüße

Die Flüchtlingsbeauftragte in Elternzeitvertretung (Falkensee)

Hendrikje Arzt

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